Dokumentation: 20 Jahre AHS Theodor-Kramer-Straße
Ein Film von Dennis Schlaghuber
Ein Brief von Theodor Kramer
Liebe Schülerin, lieber Schüler,
Du besuchst also eine Schule, die nach mir – Theodor Kramer – benannt ist. Ob ich mich darüber freuen soll, weiß ich eigentlich gar nicht, – lieber wäre mir die Anerkennung gewesen, als ich gesund und lebendig war, aber noch viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat man das Unrecht, das an Menschen begangen worden war, die nicht ins faschistische System passten, öffentlich verschwiegen und verdrängt. Möglichst rasch wollte man vergessen, dass unter den Nationalsozialisten unschuldige Mitmenschen diskriminiert, verfolgt, vertrieben und massenweise ermordet worden waren.
Was kann ich dir über mich erzählen? Ich wurde am 1. Jänner 1897 in Niederhollabrunn als Sohn des jüdischen Gemeindearztes Max Kramer und seiner Frau Babette geboren. Es war eine unruhige Zeit. Kurz nach meiner Matura brach der Erste Weltkrieg aus und ich wurde eingezogen. Als Soldat kämpfte ich an der Ostfront und wurde 1916 schwer verwundet. Später schrieb ich Gedichte über meinen Kriegsdienst und nannte den Band „Wir lagen in Wolhynien im Morast“. Nach dem Krieg begann ich zu studieren, doch ich war so arm, dass ich es wieder aufgeben musste. Erfolgreicher war ich mit meinen Gedichten. 1928 erschien mein erstes Buch mit dem Titel „Die Gaunerzinke“.
Da ich mich den Arbeitern und den Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, immer sehr nahe gefühlt habe, trat ich 1933 der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ bei. Ein Jahr später wurde dieser Zusammenschluss verboten. Unsere politische Ausrichtung passte den Machthabern nicht. Oft wusste ich nicht, wovon ich leben sollte. Noch schlimmer wurde es für mich, als 1938 Österreich an Deutschland angeschlossen wurde. Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten waren nun an der Macht. Ihnen war ich doppelt verhasst, da ich ja Jude und Sozialist war. Ich fürchtete um mein Leben; ich wusste, dass ich fliehen musste. Würde ich noch rechtzeitig wegkommen? Es war schon fast zu spät, als ich 1939 nach England ausreisen durfte.
Der Anfang dort war schwierig. Ich wurde in ein Lager gesteckt. Fern von meinem geliebten Österreich, das ich in so vielen Gedichten besungen habe, saß ich fest! Mein Vaterland hieß jetzt Ostmark und wurde in einen schrecklichen Krieg hineingezogen. Ich hatte meine Heimat verloren. Später durfte ich in der englischen Stadt Guildford als Bibliothekar arbeiten. Weiterhin schrieb ich Gedichte. Doch nur wenige wollten und konnten sie lesen!
In England verstand man mich nicht, in Deutschland waren meine Schriften verboten. Als der Zweite Weltkrieg 1945 endlich vorbei war, erfuhr ich, dass die Nationalsozialisten meine Mutter im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet hatten.
Sollte ich nach Österreich zurückkehren? Ich hatte dort anscheinend niemanden mehr; man schien mich vergessen zu haben. So blieb ich in England, war auch dort einsam und mein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. – Einige treue Freunde waren mir in der Heimat aber geblieben. Sie setzten sich für mich ein und erreichten, dass mir der Bundespräsident eine Ehrenpension stiftete. Endlich, endlich konnte ich im Herbst 1957 nach Österreich zurückkehren. Ich war jedoch schon sehr krank! – Nur wenige Monate später, 1958, fand mein Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof statt …
„Jeden Tag ein Gedicht“ – das war stets mein Grundsatz. Ungefähr 12.000 Gedichte habe ich geschrieben. Etwa 2000 davon kannst du in verschiedenen Büchern nachlesen. Vielleicht lernst du ja das eine oder andere kennen und behältst ein paar Zeilen im Gedächtnis. – Es würde mich freuen.
Dein Theodor Kramer
© Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft